Sonntag, 23. März 2008

typisch - jüdisches Museum, Berlin

Sie sind gut, diese Mahnmale gegen Unrecht.
Geschichte und Geschichten an Wänden entlang präsentiert, gesammelt, auf Leinwand gezogen, mit Musik unterlegt. Bildschirme und Kopfhörer begleiten den Gang durch Jahrhunderte. Namenlose und namhafte Persönlichkeiten reihen sich aneinander, in Regal und Vitrine. - Bitte nicht berühren. Aber es berührt. Und das soll so sein.
Eine Bank - Atemholen mitten in Beklemmung und ohnmächtiger Neugierde. Was war? Wie konnte es geschehen? Damals. Und heute?!

Und so vertiefe ich mich ins zeitlose, weil immer während andauernde Unrecht. Halte inne, mitten im Lesen und schäme mich meines Gaffens, des gewollten, herbeigeführten Eindringens in private Briefe, Liebesgeständnisse, in schmerzliche Abschiede und menschenunwürdige Abgründe.
Es ist gut, daß es sie gibt, diese Museen und Ausstellungen, die das Erinnern nicht verstummen lassen.

Und doch wünsche ich mir in einer Welt zu leben, in denen sie überflüssig wären. Weil nicht länger unterschieden würde nach Rasse und Religion. Wo es niemand mehr lernt, was typisch ist - schwarz oder weiß, Mann oder Frau. Wo es höchstens noch heißt: typisch Mensch.
Doch bis dahin werden wir sie brauchen, die Orte gegen das Vergessen, gegen das Schweigen. Auch wenn uns das Leid schweigsam macht.

Und nur ganz leise in mir die Frage, ob Ausstellungen dieser Art nicht manchmal selbst durch ihre Präsenz das Wissen um die Unterschiede (welche eigentlich?) am Leben erhalten? Weil man mehr sieht von dem, was trennt - als von dem, was uns eint in unserem Menschsein. Und so könnten sie sich letztlich gegen sich selbst wenden, als Mahnmale gegen das Vergessen. Das wäre sehr schade, ja schlimm.

Sonderausstellung typisch - im jüdischen Museum Berlin
Dauerausstellung




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lylo - 23. Mär, 14:21

ja,

ich denke, diese ambivalenz ist sehr wichtig.
für menschen, die diese unterschiede nicht empfinden (wollen), kann es noch so viele mahnmale geben und sie werden nicht den effekt des "nichtvergessens" in ihnen auslösen. sondern eine anregung, immer wieder in sich zu hinterfragen. und hinterfragung ist immer wichtig. eine meinung, die nicht hinterfragt werden kann, zeugt von schizophrenie!

andererseits kann man den menschen, die oft "nicht" denken, oder zu wenig, oder zu einseitig, nicht genug mahnmale hinstellen. leider gehen diese wohl nicht wirklich in derartige ausstellungen, oder setzen sich mit anderen fingerzeigen auseinander. und dort schließt sich der kreis zum ersten absatz ...

claire.delalune - 23. Mär, 14:30

ich dank dir, lylo.
bin heute noch ganz voll von den eindrücken. diese gedanken, die ich oben geschrieben habe, habe ich mir gestern schon in der nacht notiert. außer diesen worten ist in mir noch ganz viel leere und schweigen - so voll bin ich von allem, was ich gesehen und gelesen habe.

lieben gruß zu dir,
kathrin
Montserrat - 23. Mär, 15:13

ja

es braucht das Erinnern unbedingt! Wie oft habe ich in D noch von Kollegen gehört, wenn sich Berichte zur Kristallnacht wiederholten, man solle doch endlich aufhören, ist ja gut. Aber man soll eben nicht! Es ist unserer Pflicht es unseren Kindern weiterzugeben! Es in uns nicht in Vergessenheit geraten zu lassen!
Früher war ich immer stolz und behauptete ich hätte keine Vorurteile. Und ich wage zu behaupten, dass sie im Umgang mit Individuen auch keine Rolle spielen. Dennoch musste ich mir eingestehen, dass ich wohl welche habe im Umgang mit Menschen die ich nicht persönlich kenne, wo dann meine Vorurteile auf einmal in den Vordergrund rücken. Aber ich arbeite dran!

claire.delalune - 29. Mär, 22:29

hm. vergessen: nein - immer und immerzu darauf festegenagelt werden: ebenfalls nein. mich stört die kollektive schuld durchaus, der man als deutsche/r oftmals ausgesetzt ist. daß wir uns schämen müssen, wenn wir uns über dinge im land freuen oder gar stolz sind darauf. das erste mal, daß es anders war, war bei der wm 2006 - und selbst da hat man das mit vorsichtigem erstaunen und mancherlei entschuldigung getan.

davon unberührt ist selbstverständlich das persönliche hinterfragen nach eigenen vorurteilen. im jüdischen museum gab es z.b. eine umfrage, ob man das gut akzeptieren könne, wenn das eigene kind mit einem partner aus einem anderen kulturkreis leben wolle. ich habe für mich gemerkt, daß es dabei stark auf den jeweiligen kulturkreis ankäme. bei einigen würde mir das leichter, bei anderen wesentlich schwerer fallen.

lieben gruß an dich und sorry, daß ich so spät erst antworte.
kathrin
Uta-Traveller - 23. Mär, 17:23

Mir geht es ählich wie Montserrat: ich dachte früher auch, irgenwann sei es genug mit dem Mahnen und Erinnern, weil man abstumpft und nicht mehr hinhört.

Aber immer wieder werden Stimmen laut, die von Ideen zeugen, die nie, nie wieder Raum greifen dürfen. Und deshalb finde ich es heute schon wichtig aufzuzeigen, wohin das führen kann.

Das heißt aber nicht, dass ich mir von anderen ein schlechtes Gewissen einreden lasse, nur weil ich eben in Deutschland geboren bin (egal zu welcher Zeit).

Und das Phänomen ist eben auch nicht auf Deutschland beschränkt und auch nicht auf die Juden.
Hört man den Nachrichten zu, so knallt es regelmäßig auf der ganzen Welt. Die Namen sind verschieden, aber das Prinzip ist das gleiche.

Ostergrüße
Uta

claire.delalune - 29. Mär, 22:35

nein, grundsätzlich ist es nicht genug mit dem erinnern. da stimme ich euch zu. gerade weil es immer wieder menschen gibt, die für gut befinden, was damals geschah oder es leugnen. oder es gar heute wiederholen wollen. dagegen spreche ich mich klar aus. so etwas darf nie wieder geschehen.
wogegen ich mich wehre ist dies festhalten (und ich frage mich wirklich ob es ein festgehalten werden oder ein eigenes festhalten ist) an dieser kollektivschuld. das ist etwas, womit ich schwer, ja nicht klar komme.
ich will die deutsche verantwortung auch nicht schmälern. aber es gab und gibt auch andere länder, in denen juden verfolgt werden und wurden. das war keine erfindung des nazireiches. auch darauf weist die ausstellung im jüdischen museum hin.

recht gebe ich dir, daß das prinzip an vielen stellen in der welt gleich ist. es werden menschen verfolgt und unterdrückt, die anders glauben, anderer herkunft sind...

fast müßte man sagen: es ist menschlich. :(

nachdenkliche, späte (sorry) grüße,
kathrin

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